Das Floß der Medusa
Das Floß der Medusa (Le radeau de la Méduse) ist ein Gemälde des französischen Romantikers Théodore Géricault (1791-1824). Dieser schuf das Bild 1819 in Öl auf Leinwand. Das großformatige, 7,16 × 4,91 Meter messende Bild hängt heute im Louvre in Paris.Als Géricault das Gemälde 1819 beim Pariser Salon zur Ausstellung einreichte, war er sich der öffentlichen Provokation durch das Motiv durchaus bewusst und wählte daher nicht von ungefähr den unverfänglichen Titel "Szene eines Schiffbruchs". Denn dort der Öffentlichkeit präsentiert, wurde den Ausstellern und Salonbesuchern schnell klar, dass Géricault mit diesem Bild Frankreich ein unangenehmes Vermächtnis hinterlassen würde: Die Erinnerung an einen skandalösen Vorfall aus dem Jahr 1816, der zur Entlassung des für die Marine zuständigen Ministers sowie von 200 Marineoffizieren führte und den die französischen Zeitgenossen lieber dem Vergessen anheim gegeben hätten.
1816 hatte England die während der Napoleonischen Kriege besetzte westafrikanische Kolonie Senegal an Frankreich zurückgegeben. Dies war für die französische Regierung der Anlass, vier Fregatten mit Infanteristen zum Schutze des überseeischen Besitzes sowie Verwaltungsbeamten und Forschern nach Afrika zu entsenden. Die Fregatte "Medusa" gehörte diesem Konvoi an. Unter den annähernd 400 Passagieren an Bord des Schiffes befand sich auch der neue Gouverneur des Senegal, der Royalist Julien-Desiré Schmaltz. Die "Medusa" stand unter dem Kommando des Kapitäns Hugues Du Roy de Chaumareys, der, vor Napoleon geflohen, seine Karriere nicht auf See, sondern 25 Jahre lang in Emigrantensalons von Koblenz und London gemacht hatte. Du Roy de Chaumareys setzte sich über den Befehl hinweg, im Konvoi zu segeln, und die schnelle "Medusa" eilte den anderen Schiffen weit voraus. Aufgrund schwerer Navigationsfehler lief das Schiff am 2. Juli 1816 bei ruhiger See und guter Sicht auf die bereits damals in allen Seekarten verzeichnete Arguin-Bank vor Westafrika auf. Nach halbherzigen Versuchen, die Fregatte wieder flott zu machen, verlor der Kapitän die Nerven, das Schiff sollte geräumt werden. Die sechs Rettungsboote reichten für knapp 400 Passagiere aber keinesfalls. Auf Befehl des Kapitäns zimmerte die Mannschaft deshalb in aller Eile aus den Schiffsplanken der "Medusa" ein Floß zusammen.
Das Floß mit den beachtlichen Ausmaßen 8 x 15 Meter musste 147 Menschen aufnehmen, darunter einige wenige Offiziere, die sich einen Platz in der Mitte des Floßes sicherten. Die übrig gebliebenen Infanteristen sowie die einfache Mannschaft wurden vor Betreten des Floßes entwaffnet. Die sechs Rettungsboote wurden mit dem Floß vertäut, um es abzuschleppen. Ob das bei dem Gewicht des Floßes vernünftig realisiert werden konnte, ist nicht bekannt, dagegen spricht, dass die Insassen der Rettungsboote nach zwei Stunden die Taue kappten und davonruderten. Der sich auf dem Floß befindende Arzt Henri Savigny, dem die genaue Dokumentation der Geschehnisse auf dem Floß zu verdanken ist, bemerkt hierzu später:
"Wir konnten nicht glauben, dass wir verlassen waren, bis die Boote unseren Blicken entschwanden, doch dann verfielen wir in eine tiefe Verzweiflung".
Der Kampf ums Überleben begann. Das Floß hing an den Rändern tief im Wasser und in der ersten Nacht verschwanden gleich 20 Männer. Eine Panik brach aus, alle versuchten, in die Mitte des Floßes zu gelangen, was von den Offizieren, die ihren privilegierten Platz nicht teilen wollten, verhindert wurde. 65 Menschen wurden erschossen und ins Meer geworfen. Die zugeladene Kiste Schiffszwieback sowie das Wasser waren schnell aufgebraucht, unter der Glut der Sonne und aufgrund der unmenschlichen Bedingungen wurde der Tod zum ständigen Begleiter der Unglücklichen. Der in zugeladenen Fässern befindliche Wein wurde mit Urin und Blut verlängert, am dritten Tag kam es zu ersten Fällen von Kannibalismus und Savigny schreibt hierzu später:
"Diejenigen, die der Tod verschont hatte, stürzten sich gierig auf die toten Körper, schnitten sie in Stücke, und einige verzehrten sie sogleich. Ein großer Teil von uns lehnte es ab, diese entsetzliche Nahrung zu berühren. Aber schließlich gaben wir einem Bedürfnis nach, das stärker war als jegliche Menschlichkeit."
Am 13. Tag tauchte am Horizont ein Schiff auf, die Fregatte "Argus", die den Auftrag hatte, die verschollenen Seeleute zu suchen. Von den einst 147 Menschen auf dem Floß rettete die Besatzung der "Argus" 15, von denen weitere 5 unmittelbar nach der Rettung verstarben. Savigny hat durch seine Veröffentlichungen über das Schicksal des Floßes eine Entschädigung der Hinterbliebenen der Opfer zu erreichen versucht, ist damit aber gescheitert. Denn den um ihren Ruf und ihre Posten fürchtenden Hauptverantwortlichen am Scheitern der Mission, dem für den Gouverneursposten bestimmten Schmaltz und auch dem Kapitän de Chaumarey, gelang es, die Darstellung Savignys durch Bekundungen von ihnen abhängiger Überlebender zunächst infragezustellen. De Chaumarey wurde im März 1817 zu drei Jahren Festungshaft verurteilt, Schmaltz bald darauf seines Postens als Gouverneur des Senegal enthoben.
Der während der Besetzung der Kolonie tätige britische Gouverneur weigerte sich übrigens, die Verwaltung des Gebietes den wenigen zerlumpten Überlebenden der französischen Mission zu übergeben, weil diese sich nicht nur in einem physisch wie psychisch miserablen Zustand befanden. Denn zudem waren die für die Übernahme notwendigen Versorgungsgüter und militärischen Ausrüstungen mit der "Medusa" verloren gegangen. Paris ließ daher kurz danach eine weitere Mission mit Personal und Materialien ausrichten, um die Kolonie wieder zu übernehmen.
Auf das Bild hatte sich Géricault gut vorbereitet: Er studierte Beschaffenheit und Farbe von Leichen, skizzierte im Vorfeld zahlreiche Szenen - u.a. eine Kannibalismusszene, die er wieder verwarf - und sprach ausführlich mit dem Arzt Savigny, den er im Bild portraitierte (es ist der bärtige Mann links neben dem Mast). Trotz des realen Hintergrunds ist das Gemälde Ausdruck hoher künstlerischer Freiheit. Dass das Floß erheblich größer gewesen ist, wird von Géricault im linken Bereich des Bildes lediglich angedeutet. Im übrigen darf man annehmen, dass die überlebenden Offiziere und Infanteristen uniformiert gewesen sind und dass die Schiffbrüchigen nach 13 Tagen des Hungers ausgemergelte Erscheinungen waren. Die erstaunlich muskulösen Menschenleiber türmen sich im Bild zu einer Pyramide auf, die das Auge des Betrachters auf die am Horizont kaum auszumachende "Argus" lenkt. Die stürmische See und die bedrohlichen Wolken entsprechen ebenfalls nicht den damaligen Bedingungen. Dass die Verzweifelten der Sonnenglut ausgesetzt waren, schien Géricault nicht der hinreichende Ausdruck zu sein für die Hilflosigkeit und die Todesangst der Schiffsbrüchigen. Auch das sich blähende Segel dürfte in der Form nicht vorhanden gewesen sein. Die Besatzung der "Argus" berichtete davon, dass sie bei Sichtung des Floßes zunächst davon ausgegangen war, bei den am Mastbaum und Seilen befestigten Fetzen handele es sich um Reste eines Segels oder Wäsche, tatsächlich war es in Stücke geschnittenes Menschenfleisch, das zum Dörren aufgehängt worden war.
Der rechts unten im Wasser hängende Körper wurde von Géricault kurz vor der öffentlichen Präsentation aus kompositorischen Gründen nachträglich hinzugefügt, um die Pyramidenform der Leiber herzustellen. Aus diesem Grund ist der eingefügte Torso im Verhältnis zu den anderen Körpern deutlich größer geraten. Die Ausstellung des Bildes brachte dem Künstler nicht die erhoffte sofortige Anerkennung - eine subjektiv empfundene Niederlage, von der er sich Zeit seines Lebens nicht erholte. Heute gilt das Gemälde als ein großes Meisterwerk der französischen Malerei.
1967 parodierten Albert Uderzo und René Goscinny in ihrem Asterix-Band Asterix als Legionär das Bild. Besetzt ist das Floß hier mit den als Running Gag immer wieder auftauchenden Piraten, die zuvor wieder einmal von den Galliern versenkt wurden. In einer französischsprachigen Originalausgabe sagt der Kapitän außerdem "Je suis médusé." was wortwörtlich eigentlich nur "Ich bin versteinert" heißt.
1940-43 schrieb Georg Kaiser ein Theaterstück mit dem Titel "Das Floß der Medusa"
1968 schrieb der Komponist Hans Werner Henze ein szenisches Oratorium mit dem Titel Das Floß der Medusa, dessen Uraufführung in Hamburg platzte, weil die Westberliner Mitwirkenden nicht bereit waren, unter dem Porträt Che Guevaras und einer Revolutionsfahne zu musizieren.
In seinem 1975 erschienenen Roman Die Ästhetik des Widerstands reflektiert Peter Weiss neben der Geschichte vieler anderer Kunstwerke Darstellungsstil und -absicht des Bildes sowie dessen Rezeptionsgeschichte.
1985 wurde das Werk von den Pogues als Vorlage für das Cover Ihres Albums Rum, Sodomy & The Lash benutzt. Dabei wurden die Gesichter der Bandmitglieder in das Bild eingearbeitet.
In seinem 1989 erschienenen Roman A History of the World in 10 1/2 Chapters widmet der britische Schriftsteller Julian Barnes das fünfte Kapitel, Shipwreck, dem Bild und dessen Entstehungsgeschichte.
1998 kam der Film Le radeau de la Méduse von Iradj Azimi, der die Entstehung und die Hintergrundgeschichte des Bildes thematisiert, in die französischen Kinos. (Quelle: Wikipedia)